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Familienpsychologische Gutachten

Hypothesen in familienpsychologischen Gutachten als Fehlerquelle

Ein klassischer Fehler ist es, dass keine Hypothesen in familienpsychologischen Gutachten gebildet werden, sondern nur „psychologische Fragen“ aus dem (rechtlichen) Beweisbeschluss gebildet werden. Dabei wird oftmals der Unterschied zwischen Hypothesen, Zusatzhypothesen und psychologischen Fragen nicht gekannt und durch die Juristen nicht geprüft. Wie es geht, erkläre ich in diesem Beitrag.

Psychologische Fragen in familienpsychologischen Gutachten

Die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht formulieren in den formellen Anforderungen an ein Gutachten folgendes:

Ggf. Formulierung psychologischer/klinischer Fragen ausgehend von der gerichtlichen Fragestellung

Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht, 2. Auflage 2019

Ausgehend von der rechtlichen Fragestellung, die sich aus dem Beweisbeschluss ergibt, sind die psychologischen Fragestellungen zu entwickeln (S. 7, 8, 11 d. Mindestanforderungen, vgl. Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage, Rn. 1346).

Es wird also das aus dem Beweisbeschluss geforderte in rechtliche Fragen umgewandelt. Das sind aber nicht die geforderten Hypothesen.

Hypothesen: Was sind Hypothesen

Was sind nunmehr Hypothesen?

„Eine Hypothese ist

  1. BILDUNGSSPRACHLICH unbewiesene Annahme, Unterstellung („eine abenteuerliche Hypothese“)
    2.WISSENSCHAFT von Widersprüchen freie, aber zunächst unbewiesene Aussage, Annahme (von Gesetzlichkeiten oder Tatsachen) als Hilfsmittel für wissenschaftliche Erkenntnisse“
zitiert nach Oxford Languages and Google

Es ist also eine unbewiesene Annahme.

Weiter geht das DATAtab Team:

„Eine Hypothese ist eine Annahme, die weder bestätigt noch widerlegt ist. Im Forschungsprozess wird eine Hypothese gleich zu Beginn aufgestellt und das Ziel ist es, diese Hypothese entweder abzulehnen oder beizubehalten. Um eine Hypothese abzulehnen oder beizubehalten, werden Daten, z.B. aus einem Experiment oder einer Umfrage benötigt, die dann mit Hilfe eines Hypothesentests ausgewertet werden.“

zitiert nach DATAtab Team (2024). DATAtab: Online Statistics Calculator. DATAtab e.U. Graz, Austria.

Die noch nicht erfolgte Bestätigung oder Widerlegung ist daher erhebliche Grundlage der Hypothesen.

„Hypothesen können durch die Ergebnisse einer Befragung entweder bestätigt (-> verifiziert) oder widerlegt (-> falsifiziert) werden.“

zitiert nach Bundeszentrale für politische Bildung,

Beispielhypothesen

Salzgeber nennt insoweit einige Beispielhypothesen, von denen ich eine hier zitieren darf, weil diese schön anschaulich ist.

„Bei der Kindeswohlgefährdung – zumindest bei der Frage einer Herausnahme – wäre die Hypothese ‚eine Kindeswohlgefährdung liegt vor‘.“

Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage, Rn. 1344

Die Arbeitshypothese ist also eine Behauptung, die wahr oder falsch sein soll, die aber im Familienrecht den Streit quasi auf den/die Punkte bringt („globale Frage“, Salzgeber aaO).

Davon zu unterscheiden sind Zusatzhypothesen. Denn diese dienen dazu, die abgeleiteten psychologischen Fragen durch die Zusatzhypothesen hin zur globalen Frage zu konkretisieren (Salzgeber aaO).

Westhoff und Kluck zu Hypothesen

Westhoff und Kluck in Psychologische Gutachten, 6. Auflage 2014, deren Werk immer noch zur Standardliteratur gehört trotz des hohen Alters, definieren das ein wenig schwieriger und sperriger:

„Grundlage jeden wissenschaftlichen Arbeitens ist ein hypothesengeleitetes Vorgehen, dies gilt demnach auch für eine wissenschaftliche Begutachtung.“

Westhoff und Kluck, Psychologische Gutachten, 6. Auflage 2014, S. 127

Und besser:

„Bei persönlich wichtigen Entscheidungen zwischen wenigen Alternativen stellen sich Menschen i.d.R. zukünftige Ereignisse vor, die ihnen als Folgen von zur Wahl stehenden Alternativen möglich erscheinen. Solche möglichen Ereignisse im psychologisch-diagnostischen Prozess können sehr global sein wie z.B. die Einbeziehung eines bestimmten Variablenbereichs in die Hypothesenbildung; sie können aber auch sehr differenziert sein wie z.B. die Formulierung einer einzelnen Frage für das Entscheidungsorientierte Gespräch.“

Westhoff und Kluck, Psychologische Gutachten, 6. Auflage 2014, S. 236

Auch das hier gilt:

„Zu allen bei einer Fragestellung relevanten Variablen werden Psychologische Fragen (Hypothesen) formuliert.
Zu jeder Positiv-Annahme versucht der Gutachter, zumindest gedanklich und soweit dies möglich ist auch die entsprechende Gegenhypothese zu formulieren.
(…)
Alle Aussagen, die sich auf individuelles Verhalten beziehen, werden mit systematisch gewonnenen Beobachtungen belegt.
Es wurde auch nach solchen Informationen gesucht, die den Positiv-Annahmen widersprechen.“

zitiert nach Westhoff und Kluck, Psychologische Gutachten, 6. Auflage 2014, S. 127

Ergebnis

Ohne eine ausdrückliche Hypothesenbildung leidet die Nachprüfbarkeit eines Gutachtens. Zwar lässt hier der Stand der Wissenschaft einige Freiräume, Hypothesen sind aber zumindest immer präsent und unverzichtbar, wenn auch nicht immer genannt. Da viele Gutachter den Unterschied zwischen Hypothese und psychologische Fragestellung verwischen oder nicht kennen, liegt hierin eine häufige Fehlerquelle bei psychologischen Gutachten.

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Mindestanforderungen im Beweisbeschluss

Ich hatte bereits in meinem Blog darauf hingewiesen, dass die Mindestanforderungen im Beweisbeschluss eine kluge Regelung sind. Heute bekam ich ein Beispiel auf den Tisch, wo dies vorbildlich umgesetzt ist.

So regelt das AG Eutin die Mindestanforderungen im Beweisbeschluss

Das Amtsgericht Eutin hat dies geregelt wie folgt:

Quelle AG Eutin, 41 F 120/24

Ich finde die Regelung nicht schlecht: „Bei der Abfassung des Gutachtens sind die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftsverfahren (NZFam 2015, 937 ff.) zu beachten.“ (AG Eutin)

Dadurch wird deutlich, dass das Gutachten fachlich akkurat sein soll (vgl. OLG Schleswig hier und OLG Hamm hier), so dass dies ohnehin verbindlich ist. Klarheit schafft aber eine solche Regelung.

Ich hatte die folgende Formulierung vorgeschlagen:

Das Gutachten hat unter Berücksichtigung der Fachstandards Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht erstellt zu werden.

Langhans in Familienrecht by Michael Langhans

Fordern Sie dies in Gutachten ein. Somit herrscht Klarheit. Gründe gegen diese Klausel gibt es nicht.

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Wann ist ein Sachverständigengutachten unrichtig

Das Oberlandesgericht Hamm hat sich in einer relativ neuen Entscheidung mit den Voraussetzungen, wann ein Sachverständigengutachten unrichtig ist, auseinandergesetzt:

„Unrichtig ist ein Sachverständigengutachten dann, wenn es nicht der objektiven Sachlage entspricht, also die vom Sachverständigen festgestellten Tatsachen nicht existieren oder die Befunderhebung, soweit nicht vom Gericht vorgegeben, fehlerhaft oder unvollständig ist, oder wenn der Sachverständige aus dem festgestellten Sachverhalt falsche, unhaltbare Schlüsse zieht (Berkemann, Haftung des Sachverständigen nach § 839 a BGB – Rechtsprechung im Überblick (BGH/OLG), Juris-Mitteilungen 2021, 65 ff, 68; Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB 8. Auflage 2020 § 839 a Rn. 19 m.w.Nw.). Dabei kommt im Rahmen von § 839a BGB dem Anspruchsteller die volle Substantiierungslast für die Unrichtigkeit des Gutachtens zu. Auf Erleichterungen wie im Arzthaftungsrecht kann er sich nicht berufen (Berkemann, a.a.O., S. 67; Wagner, a.a.O., Rn. 44). Die vermeintlichen Nachlässigkeiten und Unterlassungen des Sachverständigen müssen von ihm klar benannt werden. Erst für den Fall einer schlüssigen Darlegung kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Regressprozess in Betracht (Berkemann a.a.O. S. 67).“

OLG Hamm, Urteil vom 24.11.2023 – 11 U 112/22

Es müssen also die folgenden Voraussetzungen vorliegen:

  • Die festgestellten Tatsachen dürfen nicht existieren
  • Die Befunde müssen fehlerhaft oder unvollständig sein
  • Die Schlüsse müssen unhaltbar sein

Salzgeber formuliert dies in Familienpsychologisches Gutachten 7. Auflage wie folgt:

„Ein unrichtiges Gutachten entsteht bei unrichtiger Tatsachenfeststellung, fehlerhaften Schlussfolgerungen oder Vorspiegeln von Sicherheiten, obwohl gerade im Familienrecht Prognosen über zukünftige Entwicklungen oftmals sehr vage bleiben müssen und im besten Falle nur ungefähre Wahrheitlichkeitsaussagen möglich sind.“

zitiert nach Josef Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020, Rn. 172

Soweit erst einmal nichts neues. Die wichtige Frage ist aber, wie sich die fehlerhaften Schlüsse und Befunde ermitteln lassen. Nur dann ist ein Sachverständigengutachten unrichtig.

Auch dazu hat das OLG Hamm eine deutliche Aussage:

Die Mindestanforderungen haben zwar keine Gesetzeskraft und binden das Gericht nicht. Sie sind aber vom Sachverständigen K. zu Recht als wichtige Orientierung bei der Beurteilung des Gutachtens der Beklagten zugrunde gelegt worden (vgl. auch Hammer, a.a.O. § 163 FamFG Rn. 29a Fn. 244).

OLG Hamm, Urteil vom 24.11.2023 – 11 U 112/22

Damit bekennt sich nach dem OLG Schleswig ein weiteres Oberlandesgericht deutlich zu den Mindestanforderungen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm geht sogar so weit, dass man verschiedene Punkte der Mindestanforderungen prüft, was auch der bestellte Obergutachter getan hatte.

Auch wenn die Entscheidung für den Kläger negativ ausgefallen ist, ist sie eine wichtige Entscheidung, soweit damit die Verbindlichkeit der Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht anerkannt und durchgeprüft werden – genau die Vorgehensweise, die wir seit Monaten propagieren und aktiv fördern.

Wenn die Mindestanforderungen nicht eingehalten sind, dann liegt ein unrichtiges Sachverständigengutachten vor i.S. der Rechtsprechung des BGH.

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Familienpsychologische Gutachten ungeeignetes Beweismittel?

Betreffend des Polygrafen hat der Bundesgerichtshof entschieden, dieser soll (in Strafsachen) ein völlig ungeeignetes Beweismittel sein. Doch sind familienpsychologische Gutachten ungeeignete Beweismittel? Wir blicken auf die Datenlage.

Polygrafen-Trefferquote als Referenz der Nichteignung

Dem widersetzt sich das Amtsgericht Schwäbisch-Hall mit überzeugenden Argumenten:

„Wegen der hohen Trefferquote hatte Schwabe (NJW 1982, 367) bereits 1982 die Entscheidung eines Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 18.08.1981 –2 BvR 166/81 -, NJW 1982, 375) kritisiert und von einer „brüchigen Logik“ gesprochen. Denn wenn ein Beweismittel mit einer Treffergenauigkeit von 90 % nicht ausreiche, so müsste man folglich allen Beweismitteln, deren Treffergenauigkeit sich nicht über die 90 %-Marke erhebt, ihren Beweiswert absprechen und als völlig ungeeignetes Beweismittel einstufen. Letztendlich ist in der Gerichtspraxis bekannt, dass der Zeugenbeweis hinsichtlich der Trefferquote „Lüge“ oder „Irrtum“ besonders unzuverlässig ist. Dennoch gehört die Zeugenvernehmung zu dem Beweismittel, welches in der gerichtlichen Praxis am häufigsten erhoben wird. Würden entsprechende Anforderungen hinsichtlich der Treffergenauigkeit auch an andere Beweismittel gestellt werden, bliebe letztendlich wohl nur das DNA-Abstammungsgutachten mit 99,9 %-Trefferquote als geeignetes Beweismittel für die Gerichtspraxis übrig.“

zitiert nach AG Schwäbisch-Hall 2 F 150/20

Polygraf ist zu 70-90% zuverlässig

Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 89

Je nach Untersuchung soll der Polygraf zwischen 70 und 90% Zuverlässigkeit erreichen:

„Gegen die damals mitgeteilten Trefferquoten – immerhin von 70 bis 90 Prozent – hatte der Bundesgerichtshof aber derart tiefgreifende Bedenken, dass er der Vergleichsfragenmethode eine selbst minimale indizielle Bedeutung absprach (vgl. BGH St 44, 308, 322f.)“

zitiert nach Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 89

Daran anknüpfend stellt sich die Frage, welche Trefferquote andere Beweismittel haben.

Trefferquote Aussagepsychologisches Gutachten

Auch bei der Aussagepsychologie gab und gibt es erhebliche Validitätsprobleme:

„Diese Begründung überrascht, wenn man sich an die Worte desselben Senats zur Zuverlässigkeit und Geeignetheit der aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsbegutachtung erinnert. Denn dort sprachen und sprechen ihm zufolge weder die bescheidene Befundlage zur Bestätigung der Undeutsch-Hypothese – zur Erinnerung: „Zwar handelt es sich um Indikatoren mit jeweils für sich genommen nur geringer Validität, d.h. mit durchschnittlich nur wenig über dem Zufallsniveau liegender Bedeutung“ – noch die teilweise nicht unerheblichen Fehlerspannen und der nur limitierte Beweiswert gegen die Zulässigkeit und tagtägliche Anwendung (vgl. BGHSt. 45, 164, 171)“

zitiert nach Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 90

Deshalb hatte sich Steller auch ausgesprochen, die psycho-physiologische Aussagebegutachtung (=Polygrafen) als Ergänzung zur Aussagepsychologie, nicht als Konkurrenz zu sehen:

„Steller plädierte in seiner Habilitationsschrift bereits 1987 dafür, den Polygrafen nicht als konkurrierendes, sondern als die Aussagenanalyse ergänzendes Mittel in Betracht zu ziehen.“

zitiert nach Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 172

Makepeace zitiert hier diverse Studien, die zu einem Ergebnis von 88% subjektiv wahr und 70,5% bewusst unwahr kommen (Akehurst, Matnon und Quandte nach Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 66) bzw. 85% subjektiv wahr und 50% bewusst wahrheitswidrig (Welle et al aaO) – wobei in letzterer Studie sogar Ergebnisse unterhalb des Zufallswertes erreicht wurden.

Aussagepsychologie ist zu 81% zuverlässig

Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 172

Andere Studien gehen von Werten von 44 % bis 91 % subjektiv wahr und 35% bis 100% bewusst wahrheitswidrig aus (Makepeace aaO S. 67).

Makepeace relativiert diese Ergebnisse und stellt daher vor allem auf Vrij ab, der in einer Meta-Analyse zu 81% subjektiv wahr und 57,75 % bewusst wahrheitswidrig kommt (aaO S. 68).

Beweiswürdigung durch Fachpersonen

Ein anderes Element der Wahrheitsfindung ist die Beweiswürdigung und damit die Aussagebeurteilung durch Richter, Polizisten und Staatsanwälte:

„So ergab eine Meta-Studie aus dem Jahr 2008, dass professionelle Aussagebeurteiler wie Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter Trefferquoten zwischen lediglich 45 und 60 Prozent im Erkennen von Lügen anhand eigener Erfahrung erzielen können. (…) Das entspricht etwa der Zahl, die Bond und DePaulo für nicht-professionelle Aussagebeurteiler ermitteln konnten. Der für Vrij nennenswerte Unterschied zwischen Fachleuten und Laien: Erstere neigen dazu, sich maßlos zu überschätzen.“

zitiert nach Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 177

Richter und Staatsanwälte erkennen zu 45-60% eine Lüge bzw. die Wahrheit

Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 177

Die Wahrscheinlichkeit, richtig zu raten, das muss an dieser Stelle erwähnt sein, liegt bei 50%.

Fehlerhaftigkeit von Familienpsychologischen Gutachten

Familienpsychologische Gutachten sind je nach Studie mal mehr, mal weniger verwertbar. Natürlich kann man die Fehlerhaftigkeit statistisch nicht gleichsetzen mit der falsch-positiven oder falsch-negativen Bewertung von Polygrafen- oder Aussagepsychologischen Gutachten. Doch für einen groben Vergleich mag es ausreichen:

Nach Leitner sind Familienrechtsgutachten nur zu 21% durchgängig auf aktuelle Erkenntnisse basierend (vgl. Leitner, Erkenntnisse aktueller Studie IB Hochschule 2014), nur zu 5% systematisch in der Verhaltensbeobachtung und nur zu 20% wissenschaftlich spezifiziert in der Gesprächsführung, weshalb er zu dem Ergebnis kommt, dass 25% aller Familiengutachten nicht mangelhaft sind und 75% mangelhaft (vgl. Pressemitteilung Frontal 21).

Als Entscheidungsgrundlage für die Gerichte seien diese mangelhaften Gutachten überhaupt nicht geeignet

zitiert nach Pressemitteilung Frontal 21

Die Studie der Fernuni Hagen von Stürmer und Salewski kommt zu dem Ergebnis, dass nur 59% aller Gutachten methodisch unproblematisch waren und diagnostisch ungenügende Tests eingesetzt wurden.

Zusammengefasst ist festzustellen, dass je nachdem, welche Kri-
terien zugrunde gelegt werden, ein Drittel bis mehr als die Hälfte
der Gutachten fehlerhaft ist.

Stürmer und Salewski, Deutsche Richterzeitung

Selbst Dettenborn, der einen Hype kritisiert und den Berufsstand als solches am Pranger sieht:

„Es ist ein Hype im Gange, der unserer Arbeit nicht gerecht wird“, sagt Rechtspsychologe Harry Dettenborn, bis 2004 Inhaber eines
Lehrstuhls an der Humboldt-Universität zu Berlin. „Von Einzelfällen wird auf den ganzen Berufsstand geschlossen.“ Doch sogar er schätzt, dass jedes zehnte Gutachten schlecht sein dürfte.

Amann und Neukirch in Spiegel 2015

Doch auch er kommt zu dem Ergebnis, dass „nur“ 90% der Gutachten mangelfrei sein dürften.

Konklusion

Nimmt man die Maßstäbe des BGH an den Polygrafen heran, dann reichen 90% Qualität nicht aus:

Anderes ergibt sich auch nicht aus den Berichten über hohe „Trefferquoten“ (bis zu 98,5 %) bei der Durchführung von Studien. In der Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit, daß sich die in experimentellen Untersuchungen (Labor- und Analogstudien) erzielten Ergebnisse von vornherein nicht auf die gerichtliche Praxis übertragen lassen, weil die Testbedingungen der Wirklichkeit eben nicht entsprechen.

zitiert nach BGH PM 96/98

Zutreffend hatte Schwab (siehe oben) kritisiert, dass wenn man nur 99,9% richtige Gutachten und Beweismittel zulassen möchte, dass dann nur DNA-Abstammungsgutachten in Betracht kommen.

Zuverlässigkeit unterschiedlicher Beweismittel

BeweismittelZuverlässigkeit
Aussageanalytisches Gutachten81%
Aussagewürdigung Gericht45-60%
Polygraf70-90%
Münze werfen50%
Familienpsychologische Gutachten75-90%
Auswertung dieses Artikels, Quellen siehe oben

Damit sind also letztlich alle Methoden ungeeignete Beweismittel im Sinne der Logik des BGH.

„Nimmt man das Argument der Bundesrichter für voll, die polygrafengestützte Glaubwürdigkeitsbegutachtung sei als Beweismittel völlig ungeeignet, da es sich bei ihr nicht um eine in den maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestufte Methode handle, muss konsequenterweise die aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtung ebenso ein ungeeignetes Beweismittel sein. Auch diese ist in den maßgebenden Fachkreisen alles andere als unumstritten (…)“

zitiert nach Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 90

Diesen Zahlen folgend kommt man nur zur Richtigkeit der Argumentation des AG Schwäbisch-Hall:

„Dabei verpflichtet der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG die Familiengerichte in Kindschaftsverfahren im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen anzustellen. In besonderer Weise ist das Familiengericht gehalten, die vorhandenen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und auf diese Weise nach Möglichkeit zu vermeiden, dass sich die Grundsätze der Feststellungslast zu Lasten des Kindes auswirken (BGH, Beschluss vom 17.02.2010 – XII ZB 68/09 -, NJW 2010, 1351 (1353)). Dies ist letztendlich der entscheidende Aspekt, warum der Polygraph im familiengerichtlichen Verfahren zuzulassen ist, da er – ungeachtet des Meinungsstreits – die Wahrscheinlichkeit zum Wohl des Kindes erhöht, dass das Familiengericht weder in Bezug auf den Kindeswohlaspekt 1 noch in Bezug den Kindeswohlaspekt 2 eine Fehlentscheidung trifft. Denn das Familiengericht trifft letztendlich in derartigen Fällen Entscheidungen, die das Leben eines minderjährigen Kindes betreffen und entscheidende „Weichen“ für die Zukunft dieses jungen Menschen stellen.“

zitiert nach AG Schwäbisch-Hall, Beschluss vom 25.10.2021 – 2 F 150/20

Entweder sind alle Beweismöglichkeiten auszuschöpfen oder keines, weil keines für sich alleine genommen die notwendige klare Datenlage für sich beanspruchen kann.

„Tritt zum Beispiel beim Zeugen neben das negative Ergebnis einer aussagepsychologischen Begutachtung ein positives Ergebnis einer polygrafengestützten Begutachtung – zeigen also beide Methoden unabhängig voneinander auf die Tatsache einer bewusst wahrheitswidrigen Aussage -, muss sich (denk-)logischerweise die Wahrscheinlichkeit insgesamt erhöhen, dass die Aussage tatsächlich erfunden und der Beschuldigte unschuldig ist. Von der Erhöhung einer solchen Gesamtwahrscheinlichkeit geht selbst die Rechtsprechung aus, obgleich sie nicht ausdrücklich von einem Beweisring oder der Bayes-Regel spricht (vgl. BGH ST. 38, 320, 324)“

zitiert nach Makepeace, Der Polygraf als Entlastungsbeweis 2023, S. 172

Ergebnis: Familienpsychologisches Gutachten alleine ist ein ungeeignetes Beweismittel

Dies gilt also auch für das familienpsychologische Gutachten, das gem. BGH XII ZB 68/09 sowieso nicht auf ungeprüften Anknüpfungstatsachen basieren darf, auch für das Aussagepsychologische Gutachten oder den Polygrafen. Alle, insbesondere aber die Ermitttlungsarbeit des Gerichts, sollten als gegenseitige Ergänzung gesehen werden.

Sonst muss man von familienpsychologischen Gutachten leider auch als ungeeignete Beweismittel im Sinne der Rechtsprechung des BGH betrachten, weil die Befundlage zu dünn ist. Familienpsychologische Gutachten sind für sich alleine genommen kein geeignetes Beweismittel.

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Nur Rechtspsychologen als Gutachter?

Die Fragestellung, ob nur Rechtspsychologen als Gutachter in Frage kommen, ist relativ alt. Das Gesetz unterscheidet in §163 FamFG nicht zwischen Diplom-Psychologen, Bachelor-Psychologen., Master-Psychologen, sondern benennt nur einen psychologischen Berufsabschluss als Voraussetzung.

Salewski und Stürmer kamen bereits 2014 in der Studie der Fernuni Hagen, finanziert durch das Bundesland NRW, zu dem Ergebnis, dass Rechtspsychologen die besseren Gutachten abliefern:

„Tatsächlich legen Ergebnisse unserer Studie nahe, dass Gutachten zertifizierter Rechtspsychologen qualitativ besser waren als andere Gutachten“

zitiert nach Salewski und Stürmer, Deutsche Richterzeitung 2014, S. 282, 283

Jopt und Behrend haben diese Auffassung protestiert:

„Das betrifft insbesondere die bar jeder wissenschaftlich gebotenen Zurückhaltung formulierten Folgerungen der Autoren in Bezug auf die Qualifikationsanforderungen an Sachverständige im Familienrecht. Nicht nur ihr Schluss von der „nachweislich höhere(n) Qualität“ solcher Expertisen, die von Rechtspsychologen erstellt wurden, auf deren herausragende Qualifikation für familienge-
richtliche Begutachtung ist unzulässig. Hier handelt es sich um ein methodisches Artefakt, da der Beweis für die Überlegenheit der von ihnen vertretenen Begutachtungsmethodik für das Kindeswohl bisher nicht erbracht wurde. „

zitiert nach Jopt und Behrend, Fehlerhafte Gutachten im Familienrecht – Stellungnahme des FSLS

Der BDP fordere durch Köhler bereits in der Vergangenheit, dass nur die Rechtspsychologen (nach den Richtlinien des BDP!) als Gutachter in Betracht kommen sollen:

„Nur Diplom Psychologen und Psychologen mit einem Masterabschluss sind kompetent, als psychologische Sachverständige zu arbeiten. Der BDP fordert, dass entsprechend nur Psychologen als Sachverständige für die Beantwortung von psychologischen Fragestellungen im Rechtssystem beauftragt werden.“

zitiert nach Köhler, Stellungnahme zum FAZ-Artikel vom 12.11.2012 und
Positionspapier zur Qualifikation von psychologischen
Sachverständigen im Bereich der Rechtspsychologie

Meiner Auffassung nach sind Gutachten von Rechtspsychologen wissenschaftlicher, nachvollziehbarer und besser – nicht zwingend aber fehlerfrei

Michael Langhans, Volljurist

Der Gesetzgeber hat diesen Fakt bisher unberücksichtigt gelassen.

Daher bietet Köhler zumindest an, dass die Gutachter die folgenden Qualifikationen nachweisen müssen, was das Gericht zu prüfen hat:

„1. Abschluss als DIPLOM-PSYCHOLOGE oder ein MASTER OF SCIENCE in PSYCHOLOGIE (Urkunde der Hochschule)

  1. Einschlägige und mehrjährige Berufserfahrung in dem in Frage kommenden fachlichen Feld (z.B. Tätigkeit als Psychologe im Strafvollzug)
  2. Einschlägige und regelmäßige Aus- und Fortbildung in Rechtspsychologie (Zertifikate von Ausbildungseinrichtungen, Hochschulen, Universitäten usw.).
    und/oder
  3. Einschlägige wissenschaftliche und fachliche Veröffentlichungen in Fachzeitschriften (!) oder Promotion in Rechtspsychologie
  4. Zusätzliches Zertifikat FACHPSYCHOLOGE für RECHTPSYCHOLOGIE der Deutschen Gesellschaft für Psychologie/Berufsverband Deutscher Psychologen. Eintrag im Register der Fachpsychologen für Rechtspsychologie: www.psychologenakademie.de/register_recht.
  5. Besitzt der psychologische Gutachter zudem einen MASTER-GRAD in RECHTSPSYCHOLOGIE (z.B. Master of Science in Psychology and Law)? Hat der psychologische Gutachter zusätzlich auch eine psychotherapeutische Kompetenz und braucht er die für die gutachterliche Fragestellung?
  6. Zusätzliche Qualifikation eines Psychologen (je nach Fragestellung) mit Weiterbildung zum Sachverständigen der Psychotherapeutenkammern: Approbation zum Psychologischen Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeuten (Vorsicht (!): das können auch Sozialarbeiter/Sozialpädagogen oder Erziehungswissenschaftler sein).
    Auch wenn die aufgeführte „Checkliste“ keinen Anspruch einer qualitativen Einstufung der rechtspsychologischen Qualifikationen erhebt und nur als grobes Kompetenzraster zu verstehen ist, so sollte ein psychologischer Gutachter mindestens die ersten drei Kriterien nachweisen können, um als fachlich qualifizierter psychologischer Sachverständiger bezeichnet werden zu können“
zitiert nach Köhler, Stellungnahme zum FAZ-Artikel vom 12.11.2012 und
Positionspapier zur Qualifikation von psychologischen
Sachverständigen im Bereich der Rechtspsychologie

Auch meiner Auffassung nach sind Gutachten von Rechtspsychologen gefühlt besser, eine eigene statistische Auswertung habe ich bisher nicht vorgenommen. Sie orientieren sich mehr an den Mindestanforderungen, begründen besser, leiten Arbeitshypothesen nachprüfbar hervor und arbeiten im Gros wissenschaftlicher und transparenter.

Die Prüfung ist aber eigentlich eine richterliche Aufgabe, der zu oft nicht nachgekommen wird, obwohl man sich Gutachten nicht ungeprüft zu eigen machen sollte.

Hier setzen meine Hilfen an.

Hilfe erhalten beim erfolgreichen Gutachten anfechten?

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Gutachten nicht ungeprüft zu eigen machen

Diese einfache Weisheit, Gutachten nicht ungeprüft zu eigen zu machen, hat der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Prof. Dr. Stefan Heilmann, bereits 2015 im Spiegel im Artikel „Fragwürdige Instrumente“ von Amann und Neukirch zum Besten gegeben:

„Richter dürfen sich Gutachten nicht ungeprüft zu eigen machen“, sagt Stefan Heimann, Familienrichter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main. „Der  Gesetzgeber setzt großes Vertrauen in ihre Urteilskraft, wenn es um die Qualität von Expertisen geht.“

Heilmann in Amann und Neukirch, „Fragwürdige Instrumente“ in Der Spiegel, 2/2015

Richter folgen ihren Gutachtern zu unkritisch

Doch trotzdem kommt es viel zu oft vor, dass Richter „ihren“ Gutachten unkritisch folgen.:

Bereits in den Achtzigerjahren ergab eine Umfrage der Universität Freiburg, dass Familienrichter den Empfehlungen ihrer Sachverständigen meistens einfach folgen. Diesen Trend dürfte ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1999 verstärkt haben. Damals schrieb Karlsruhe den Familienrichtern vor, sie dürften von fachpsychologischen Gutachten nur mit einer eingehenden Begründung und dem „Nachweis eigener Sachkunde“ abweichen.
Gerade diese Sachkunde fehlt jedoch oft, deshalb weichen viele Richter vorsichtshalber gar nicht erst ab.

Amann und Neukirch, „Fragwürdige Instrumente“ in Der Spiegel, 2/2015

Maßgeblich hat sich das OLG Schleswig mit einigen der Fragen der Prüfung im Gutachten auseinandergesetzt:

Auch wenn diese Empfehlungen keine Kriterien im Sinne rechtlich verbindlicher Mindeststandards darstellen, so dienen sie doch der Konkretisierung der in § 163 Abs. 1 FamFG formulierten Anforderungen an die in Kindschaftssachen zu bestellenden Sachverständigen und die zu erstattenden Gutachten und sind nach Auffassung des Senates im Rahmen der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens zu berücksichtigen, da sie eine Arbeitsgrundlage darstellen, die von den beteiligten Experten unter Einbeziehung juristischer und psychologischer Aspekte in Kenntnis der bestehenden Situation im Gutachterwesen erarbeitet wurden.

OLG Schleswig 13 UF 4/20, Rn. 184

Hiernach sind die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen faktisch verbindlich.

Qualifikation des Gutachters aktiv prüfen

Die Qualifikation des Gutachters ist aktiv zu prüfen, insbesondere ob dieser den Anforderungen an einen Gutachter genügt:

Aufgrund der Vielfältigkeit und Anforderungen, nicht zuletzt auch aufgrund der möglichen weitreichenden Bedeutung der Empfehlungen der Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren, ist eine besondere Sachkunde notwendig, die auch weit über übliche Studieninhalte der Psychologie und Medizin hinausreicht. Deshalb sind zusätzliche, nachgewiesene, forensische Kenntnisse und Erfahrungen der Sachverständigen notwendig.

OLG Schleswig 13 UF 4/20, Rn. 191

Vorallem müssen auch Rechtskenntnisse vorliegen, die für die Begutachtung relevant sind:

Kenntnisse des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts sind unabdingbar und erfordern eine laufende Fortbildung der Sachverständigen. Zudem müssen sie kontinuierlich über gerichtliche Entscheidungen bzw. gesetzliche Entwicklungen informiert sein, die ihre Tätigkeit berühren.

OLG Schleswig 13 UF 4/20, Rn. 194

Richterliche Prüfungsaufgabe!

All das zu prüfen wäre richterliche Aufgabe. Hierauf sollte man sich nicht verlassen, stattdessen sollte man diese Prüfung aktiv einfordern und das Unterlassen kritisieren.

Dies gilt vorallem auch, sollte nicht aktiv über den Untersuchungsplan und die Fragestellungen vorab durch den Gutachter angemessen aufgeklärt worden sein (vgl. OLG Schleswig 13 UF 4/20, Rn. 272) oder das Gutachten nicht wissenschaftlich und transparent sein:

Das Gebot des wissenschaftlich fundierten Vorgehens, der Transparenz und der Nachvollziehbarkeit ist zu beachten.

OLG Schleswig 13 UF 4/20, Rn. 276

Insoweit dürfen sich das Gericht, aber auch die Anwälte und Parteien, ein solches Gutachten nicht ungeprüft zu eigen machen.

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Psychologische Fragestellungen

Die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen halten auf Seite 8 im Punkt 2 c die folgenden Vorgehensweisen für Sachverständige bereit als psychologische Fragestellungen als Kernbestand von familienpsychologischen Sachverständigengutachten:

Psychologische Fragestellungen gem. Mindestanforderungen

c. psychologische Fragestellungen
Kernbestandteil von Begutachtung im kindschaftsrechtlichen Verfahren sind die
Erfassung und Beurteilung
• der familiären Beziehungen und Bindungen;
• der Ressourcen und Risikofaktoren in der Familie;
• der Kompetenzen der Eltern/Sorgeberechtigten, ihrer Erziehungsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme, Bindungstoleranz;
• des Entwicklungsstands, der Bedürfnisse des Kindes, des Kindeswillens, der Kompetenzen und der aktuellen Situation des Kindes, evtl. besonderer Belastungen und Beeinträchtigungen.

Mindestanforderungen

Vorsicht, wenn psychologische Fragestellungen fehlen

Wenn also diese oder ähnliche Fragestellungen nicht bei der Begutachtung auftauchen, insbesondere nicht aus der rechtlichen Fragestellung hergeleitet sind (vgl. Mindestanforderungen, S. 11: „Formulierung psychologischer/klinischer Fragen ausgehend von der gerichtlichen Fragestellung“), dann ist das Gutachten mit Vorsicht zu genießen.

Auch wenn der Gutachter frei in der Wahl seiner Mittel ist, sind die Mindestanforderungen de facto Standard und geben das wissenschaftlich forderbare wieder.

Unverwertbar bei Nichtprüfung psychologischer Fragestellungen

Ein Gutachten, das keines der oben genannten Aspekte beinhaltet und hinterfragt, kann nicht verwertbar sein, weil es nicht wissenschaftlich ist. Es gibt nicht den Status Quo der familienpsychologischen Begutachtung wieder.

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Familienpsychologische Gutachten

Datenminimierung und Gutachten

Datenminimierung, also die früher Datensparsamkeit genannte Vorsicht beim Erheben von Daten, gilt auch in Gutachten. Vielerorts wird diskutiert, dass Sachverständige nicht oder ohne Einwilligung keine Daten erheben dürfen, insbesondere soweit eine Verweigerung der Zustimmung zur Begutachtung vorliegt.

Oftmals wird hierfür die DSGVO angeführt, die in vielen Teilen die konkrete oder konkludente Einwilligung in die Datenverarbeitung fordert.

Grundsatz: Sachverständiger darf Daten nach DSGVO erheben

Grundsätzlich darf ein Gutachter auch Daten nach DSGVO für sein familienpsychologisches Gutachten erheben. Denn er ist nicht nur berechtigt, sondern einzelgesetzlich zur Begutachtung verpflichtet. 1vgl. §407 ZPO

Grundsätzlich müssen Gutachter in Verfahren das Gutachten erstellen, was sich aus §30 I FamFG i.V.m. §407 ZPO ergibt. Daher liegt ein Rechtfertigungsgrund nach Art. 6 I 1 c. DSGVO vor. 2vgl. Weber in Auswirkungen der DS-GVO für Berufsbetreuer und Sachverständige in Kindschaftssachen in NZFam 2018, 865

Merke: Gutachter dürfen also, selbst wenn man der Begutachtung nicht zustimmt, ein Gutachten erstellen und Daten verarbeiten.

Michael Langhans, Volljurist und Gutachtenskritiker

Alles andere wäre auch widersinnig. Soll ein Mörder der DNA-Verwertung widersprechen können, die ihn überführt?

Aber: Daten sparen wegen Datenminimierung und Gutachten

Gleichwohl dürfen Gutachter nicht gegen das Prinzip der Datenminimierung und Gutachten verstoßen. Danach sind nur solche Daten zu erheben, die für die Erfüllung des Beweisauftrags notwendig sind. Besondere Vorsicht ist bei besonderen Daten i.S. Art. 9 DSGVO einzuhalten:

Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.

Art. 9 DSGVO

Diese Frage ist dem EuGH für das Arbeitsrecht nach Art. 267 AEUV vorgelegt. Wie dieser entscheidet, ist unklar.

Den Umfang des Gutachtens bestimmt der Beweisbeschluss als Gutachterauftrag. Alles, was darin nicht gefragt ist, hat nicht erhoben zu werden. Dies gilt umso mehr, als dass obige Aspekte des Art. 9 DSGVO umfasst sein könnten. Die Datenminimierung steht dem insoweit ebenso entgegen wie das erheben solcher besonderen Daten.

Gutachten, die die Nachbarschaft ausforschen, können ebenso unzulässig sein und einen Berichtigungs-/Löschungsanspruch auslösen wie falsche Daten. Dies gilt aber auch für Daten, die das Gericht erheben und bewerten muss (Lebensumfeld der Kinder als reale, nicht psychologische Komponente).

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Falsche Literatur zu Gutachten

Viele Gutachten sind ohne Primärliteratur erstellt, die zur Begründung der Schlüsse herangezogen werden müsste. Doch manchmal wird auch schlicht falsche Literatur zu Gutachten herangezogen. Das zu beurteilen ist oft schwer, wenn einem die fachliche Expertise fehlt. Ich habe mir letztens den Ventzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, gekauft und gelesen.

Falsche Literatur Ventzlaff/Foerster?

Was soll ich Euch sagen? Das Buch ist im rechtlichen Bereich so voller Fehler, dass ich mir den Rückschluss auch auf die anderen Fachgebiete, von denen ich nun einmal als Jurist weniger Expertise habe, erlaube. Wer „Verfahrenspfleger“ statt „Verfahrensbeistand“ verwendet, lebt im Jahr bis 2009 und offenbart erhebliche Defizite.

Wenn aktuelle, wegweisende Entscheidungen zur Haftung des Sachverständigen nicht berücksichtigt sind (Vergleiche sind Entscheidungen i.S. §839a BGB, wenn diese auf Gutachten basieren), dann redet so ein Buch den Gutachtern nach dem Mund und versucht diese zu schützen, statt den Status Quo wiederzugeben.

Ausführlich habe ich es hier auf meinem Blog geschildert:

https://familienrecht.activinews.tv/buecher-vorgestellt/psychiatrische-begutachtung/
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Familienpsychologische Gutachten

Gutachten sind maximal ein Jahr verwendbar

Die Fragestellung, wie lange man ein Gutachten verwenden kann, stellt sich sehr oft. Viele familienpsychologische Gutachten werden oft nach Jahren noch gegen die Eltern verwendet. Dies ist fachlich falsch. Ein Gutachten ist maximal ein Jahr verwendbar. Danach hat es nur noch die halbe oder noch geringere Aussagekraft.

Salzgeber/Bublath: Ein Jahr haltbar

In ihrem Artikel „Der familienrechtspsychologische Sachverständige im
Spannungsfeld zwischen Recht und Fachwissenschaft“ (NZFam 2022, 963ff.) führen Salzgeber und Bublath aus:

Trotz aller Bemühungen ein nachvollziehbares transparentes und wissenschaftlich begründetes schriftliches Gutachten zu erstellen, sollte die Haltung des Sachverständigen, auch die Erwartung des Gerichts und der anderen Verfahrensbeteiligten bezüglich des Kindeswohls sein, dass ein Gutachten keine längere Halbwertszeit als höchstens ein Jahr haben sollte.

Salzgeber/Bublath Der familienrechtspsychologische Sachverständige im
Spannungsfeld zwischen Recht und Fachwissenschaft“ (NZFam 2022, 963ff.

Halbwertszeit ist die Zeit, in der eine abzunehmende Größe, hier die Nutzung, Verwendbarkeit und Aussagekraft eines Gutachtens im dynamischen Familiensystem, auf die Hälfte reduziert wird. Das ohnehin schon sehr prognostische familienpsychologische Sachverständigengutachten hat nach einem Jahr der Entwicklung der Kinder, Eltern und Familiendynamik daher allenfalls noch 50% Aussagekraft. Eine hundertprozentige Aussagekraft liegt insoweit aber nie vor, da Psychologie keine exakte Wissenschaft ist. 1https://de.quora.com/Ist-die-Psychologie-eine-exakte-Wissenschaft

Damit liegt nach einem Jahr eine Aussagekraft vor, die zwingend unter 50% der Realität sein muss.

Fazit: Gutachten sind nur ein Jahr verwendbar

Gutachten sind damit maximal ein Jahr verwendbar. Danach bedarf es einer Nachbesserung oder zumindest rechtlich einer erheblichen Auseinandersetzung mit den Änderungen seitdem.

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